Betriebsgastronomie 2.0

Wie sich Kantinen jetzt verändern

Gemeinschaftsverpflegung

Willkommen in der neuen Welt der Gemeinschaftsverpflegung! Die Branche hat die Krise genutzt, um neue Ideen zu entwickeln und sieht große Chancen im Zusammenhang mit New Work und dem Buhlen um kluge Köpfe.

Für die Betriebsgastronomie in Deutschland ist auch anderthalb Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie noch immer nichts, wie es einmal war. Dank Abstandsregeln und Homeoffice war die Zahl der Essen von 5,1 auf 3,1 Milliarden eingebrochen. Wohin führt diese Entwicklung? Das scheint völlig offen. „Wir stehen vor wichtigen Entscheidungen“, sagte Burkart Schmid, Chefredakteur der gv-praxis, unlängst in Bingen am Rhein vor Entscheidern aus der Branche. „Die Frage ist doch: Wer übernimmt die Versorgung der Menschen im Homeoffice? Aldi, Lidl und Co. oder doch die Betriebsgastronomie?“ 

Burkart Schmid

Catering für die Lieben daheim

In diesem Zusammenhang gewinnen ganz neue Themen an Bedeutung: 24/7 zum Beispiel oder auch der Einsatz von Vending Machines. „Früher war das wenig relevant. Heute umso mehr. Und gleichzeitig führt uns diese Entwicklung zu neuen Herausforderungen. Denken Sie nur an Verpackungen. Einerseits sind sie Teil der Lösung – andererseits aber auch Teil des Problems, wenn man an den Umweltaspekt denkt“, so der Branchenkenner.

Wie tiefgreifend und wie schnell sich die Welt der Betriebsverpflegung gerade ändert, beobachtet auch Egmont Merté, Leiter Gastronomie bei der Allianz SE. Gemeinsam mit seinem Team (im Münchner Headquarter sind es 25 Mitarbeiter für 1.600 Essen täglich) arbeitet er ständig an neuen Lösungen. Eine Tapas-Bar ist das nächste Projekt. Die Umstellung vom Zwei- auf den Drei-Schicht-Betrieb steht an, um auch für immer flexiblere Arbeitszeitmodelle Lösungen zu haben. Von morgens 8 bis abends 21 Uhr brauche es durchgehend gute Angebote, sagt Merté. Das beginne mit einem Frühstücksangebot, bei dem man sich auch vor guten Hotels nicht verstecken müsse, umfasse das boomende Take-away-Geschäft – und ende abends nicht zwangsläufig mit Tapas aus dem Betriebsrestaurant, sondern immer öfter auch mit Lösungen für die Lieben daheim. „Wir können unsere Mitarbeiter entlasten, wenn wir ihnen vorbereitete Speisen mitgeben, die sie daheim nur noch kurz aufwärmen müssen“, sagt Merté. „Das ist einer unserer Beiträge zum Thema Work-Life-Balance.“ Dass man dabei aufpassen müsse, nicht in steuerliche Schwierigkeiten zu geraten (Stichwort: marktübliche Preise) – das sei klar. „Ich glaube, dass wir als Betriebsgastronomie einfach neue Angebote machen, neue Aufgaben übernehmen und uns weiterentwickeln müssen.“ Im Fokus dabei: die Wunden heilen, die durch anderthalb Jahre ohne kollegialen Austausch entstanden sind. „Wir bieten Raum für Begegnungen, für Austausch, für das gegenseitige Kennenlernen“, sagt Merté. „Ich meine: Hier gibt es Menschen, die nach über einem Jahr noch nie mit ihren Kollegen im gleichen Raum waren! Wie soll man denn da als Team zusammenwachsen?“

Betriebsgastronomie

Kochen ist wie Magie

Auch die Wiener Trendforscherin Hanni Rützler sieht die Pandemie wie einen Brandbeschleuniger für Veränderungen, einen Zeitraffer für Innovationen. „Not macht vielleicht nicht unbedingt erfinderisch, aber sie gibt uns den Mut, Neues auszuprobieren!“, sagt sie. Für Rützler ist klar: Auf eine Zeit der großen Unsicherheit folge eine Zeit, in der plötzlich alles möglich wird, was bisher undenkbar schien. Dass Fleisch seine Pole-Position auf dem Teller verliert – für Rützler eine sichere Sache, auch wenn das „noch Jahrzehnte“ dauern werde. Für die große Mehrheit dagegen seien aktuell erst einmal andere Faktoren wichtig: „Ich glaube, es braucht auch wieder mehr Menschlichkeit beim Kochen, weniger Abstraktion. Kochen ist wie Magie! Das dürfen wir nie vergessen!“

Wer genauer in die Zahlen der Branche guckt, stößt dagegen auch auf interessante Details. Die Verpflegung aus Shops und Automaten hat „nur“ 32 Prozent Umsatz eingebüßt und ist damit offenbar krisenfester als die Hauptverpflegung (minus 43 Prozent). Schmid berichtete zudem von dem in seinem Haus entwickelten Relevanzbarometer, mit dem man die Bedeutung von Themen misst. Von 2018 auf 2021 ist in dieser Liste kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Der Faktor Preiswürdigkeit zum Beispiel fiel im Relevanzbarometer von Platz 1 auf Platz 23, „über Frontcooking redet auch niemand mehr“ und das Thema Wettbewerb sei zwischenzeitlich auch eher drittrangig. Digitalisierung dagegen – 2018 noch etwas stiefmütterlich auf Rang 26 der wichtigsten Themen – steht plötzlich auf der Pole Position der wichtigsten Themen in der Branche. Ähnlich ist die Entwicklung bei Nachhaltigkeit (plus 21 Plätze), veganer und vegetarischer Küche (plus 18), To Go (plus 18) und der Kommunikation via Social Media (plus 17).

Auch bei der Allianz beschäftigt man sich mit technischen Innovationen, hat seit Längerem schon Vending Machines und Automaten im Einsatz. „Es ist  schon spannend, was da alles entwickelt wird“, sagt Merté. „Aber wenn man man ehrlich ist: So richtig lecker war das meiste Automatenessen bisher nicht. Auf dem Markt gibt es inzwischen technische Möglichkeiten, von denen ich sagen würde: ‚Ja, damit kann man wirklich gut Essen schnell und lecker heiß machen!‘“ Und doch: Überflüssig würden auch seine Köche ganz sicher nicht: „Wir sind und bleiben Dienstleister. Das ist es, was die Leute wirklich wollen. Wenn wir mit Robotern unser Angebot erweitern, ist das gut und schön – aber am Ende sorgen wir mit für den sozialen Zusammenhalt und das gute Gefühl, dass sich die Firma gut um einen kümmert.“

Messeturm Sodexo-Restaurant der FAZ

Es bewegt sich etwas

Branchenkenner Burkart Schmid sieht die Branche mehr denn je auf der Suche nach neuen Ideen. Ob das die Rooftop-Bar Rem (benannt nach Architekt Rem Kohlhaas) auf dem Dach des Spiegel Verlags in Hamburg ist oder das neue Sodexo-Konzept im Messeturm Frankfurt: Es bewegt sich viel. Der Grund dafür liegt auf der Hand: „Es gibt nichts Schwierigeres, als jeden Tag für die gleichen Gäste zu kochen. Das ist die große Herausforderung“, so Schmid. Wer es ganz genau nimmt, der muss hinter „jeden Tag“ jedoch immer öfter ein Fragezeichen setzen.„Dienstag bis Donnerstag sind die fetten Tage“, sagt Allianz-Mann Merté. „Am Montag und Freitag ist deutlich weniger los – also müssen wir uns überlegen, wie wir organisatorisch darauf reagieren.“ Vielleicht mit Catering-Angeboten für private Feiern von Mitarbeitern? Mit mehr Außer-Haus-Service? „Alles denkbar“, sagt Merté.

Authentischces Kantinen-Essen

Gastronomie 2.0

Wie sich die Sodexo Gastronomie 2.0 vorstellt, kann man derweil in Frankfurt erleben: Das M.Tower und das Horizon bestehen im direkten Wettbewerb zu Hunderten von Restaurants im Frankfurter Westen und heben sich
von klassischen Restaurants dann doch deutlich ab. Sodexo setzt auf digitale Innovationen, authentisches Essen, stilvolles Ambiente und moderne Raumgestaltung, für die man den Star-Architekt Matteo Thun aus Mailand engagierte. Auch ein Weg in eine gute Zukunft …