Azubis ganz allein … im Hotel
Es ist 5 Uhr morgens. Die Gäste schlafen noch, als in der Küche des Atrium Hotel Mainz der Frühstücksservice seinen Dienst antritt. Eine Stunde später löst der Rezeptionsfrühdienst die Nachtportierin ab. Eigentlich ist alles wie immer – eigentlich: denn an diesem Tag führen ausschließlich die Auszubildenen des familiengeführten Betriebs das Geschäft. Und die haben sich so einiges für die Ausgestaltung ihres Azubitages überlegt.
(K)ein Morgen wie jeder andere
„Was ist mit den Festangestellten passiert?“ steht auf der großen Wand mit Mitarbeitendenfotos geschrieben. Ein Blick auf den Kalender lässt nichts Gutes erahnen – heute ist Halloween. Gruseln muss sich an diesem Tag aber keiner. Die „Festis“ sind nicht verschollen, sondern unternehmen einen Ausflug in der Region. Und dies tun sie guten Gewissens: „Unsere Auszubildenden sind umfassend eingearbeitet und erledigen ihre Arbeit stets so verantwortungsvoll, dass man ihnen sorglos den Tagesbetrieb überlassen kann“, so die Leiterin des Frühstücksservice, Stefanie Ackermann. Heute wird sie von Lucas Karch, angehender Kaufmann für Hotelmanagement im zweiten Ausbildungsjahr, vertreten. Er leitet nun das vierköpfige Team, das bereits mit routinierten Handgriffen das umfangreiche Frühstücksbüfett für die Übernachtungsgäste vorbereitet. Für Karch und seine Team-Kolleg:innen stellt der Tag keine besondere Herausforderung dar: „Wir sind es gewohnt, eigenständig zu arbeiten“.
Auch Jannik Allesch, Auszubildender zum Hotelkaufmann im dritten Lehrjahr und heute Leiter des Rezeptionsdienstes, geht seine Schicht mit Respekt und Routine zugleich an: „Es ist eine große Ehre, dass wir von unseren Vorgesetzten für einen Tag die alleinige Verantwortung übertragen bekommen haben – besonders auch, dass wir diesen komplett selbst gestalten durften – angefangen beim Motto über das Menü bis hin zur Entscheidung, wer in welcher Abteilung arbeitet.“ Aufgrund des Learning-by-doing-Prinzips habe er sich auch bewusst für das Atrium Hotel Mainz als Ausbildungsstätte entschieden.
Tradition trifft auf Motivation
Bereits zum 9. Mal findet der Azubitag im mehrfach ausgezeichneten Konferenzhotel statt. Insgesamt 24 junge Mitarbeitende der Ausbildungsberufe Koch/Köchin, Restaurantfachmann/-frau, Hotelfachmann/-frau, Kaufmann/-frau für Hotelmanagement und duale Studierende des Tourismusmanagements teilen sich auf fünf Abteilungen – ganz analog zum Normalbetrieb – auf: Frühstücksdienst, Rezeptionsservice, Abendservice, Küchendienst und Tagungsservice. Nur der Housekeeping-Service und die Buchhaltung sind ausgenommen. Dass heute tagsüber Symposien drei namhafter Unternehmen, ein À-la-carte-Menü für 45 Personen und ein Bankettessen für 15 Gäste am Abend im weitläufigen Tagungshotel stattfinden, könnte so manchen Auszubildenden nervös machen. Nervosität ist aber kaum zu spüren. Vielmehr merkt man den Lehrlingen die Freude an der Arbeit und die hohe Motivation bei der Umsetzung ihres selbst geschmiedeten Tagesplanes an.
Durchdacht bis ins kleinste Detail
Mittlerweile ist es Nachmittag. In einem der Restauranträume legen die Mitarbeitenden der Abendservice-Abteilung letzte Hand an die Tischdekoration an. Im Hintergrund läuft leise Michael Jacksons „Thriller“. „Da heute der 31.10. ist, haben wir den Tag unter das Motto „Halloween“ gestellt“, erklärt Kalea Pombeiro, Auszubildende zur Hotelfachfrau im ersten Lehrjahr. Die einfallsreiche und zugleich stilvolle Dekoration in den verschiedenen Foyers und Restauranträumen haben die Auszubildenden selbst konzipiert und gestaltet. „Dabei haben wir darauf geachtet, nachhaltig zu arbeiten. So haben wir unter anderem Deko aus den Beständen genutzt und geschaut, dass die meisten Gegenstände wiederverwendbar sind“, so Pombeiro. Auch bei ihrer Kleidung haben sich die jungen Mitarbeiter viel Mühe gegeben, das Thema umzusetzen – jedoch dezent genug, um niemandem das Fürchten zu lehren.
Gut gewappnet für die Berufswelt
Während es im Restaurant vor dem Eintreffen der Gäste noch ruhig ist, geht es in der Küche bereits hoch her. Die Kochazubis schneiden, braten, rühren an, kosten – und das mit geübten Handgriffen. Jeder weiß, was zu tun ist. An die Stelle des Küchenchefs Carl Grünewald tritt heute Umut Sahin – Auszubildender zum Koch im dritten Lehrjahr. Er trägt die Verantwortung für die Bankett- und À-la-carte-Küche. „Ich bin etwas aufgeregt“, gibt er zu, „aber die Stimmung im Team ist super und wir sind alle sehr motiviert. Daher bin ich zuversichtlich, dass alles klappen wird“. Dass auch dieses Team sich der Herausforderung des Tages gern stellt, spürt man sofort. „Das ist die beste Probe fürs spätere Berufsleben“ fügt Sahin hinzu, „Wir haben im Zuge der Planung alle Abläufe kennengelernt, an die man als Azubi sonst mitunter noch gar nicht denkt“. Stolz sind die angehenden Köche vor allem auf ihr selbst entwickeltes Menü. Den kreativen Freiraum haben sie genutzt – denn üblicherweise setzt die Küche auf Regionalität und Saisonalität bei der Wahl ihrer Lebensmittel, die sie unter anderem über CHEFS CULINAR bezieht. Heute haben die Azubis dieses Konzept aber aufgebrochen:
Gerichte wie gebeizte Seeforelle an Kürbis-Birnen-Chutney mit Schnittlauch-Mayonnaise und Topinambur-Chips oder Matcha-Softshell mit Vanille-Salz-Zitroneneisfüllung, Pistazien-Spongecake und Brombeergelee klingen nicht nur ungemein lecker, sie sind ebenso professionell und mit Liebe zum Detail angerichtet. Dass heute alles so reibungslos klappt, wurde nicht dem Zufall überlassen. „Die Speisen haben wir mehrmals probegekocht, sodass die Abläufe bei jedem sitzen“, betont Sahin. Und wertvolle Unterstützung durch Fachwissen und Tipps für die Umsetzung der Ideen gab es im Vorfeld von den Festangestellten, insbesondere vom Küchenleiter Grünewald.
Ein Projekt mit Herz
Nicht nur für das leibliche Wohl haben die Auszubildenen des Atrium Hotel Mainz bestens gesorgt. Ein wichtiges Anliegen war ihnen auch, alle Einnahmen des Tages für einen guten Zweck zu spenden – an Zoar, das rheinhessische Diakonie-Zentrum. „Bei uns arbeitet ein Kollege mit Downsyndrom, der von dieser Einrichtung unterstützt wird. Daher möchten wir gern dafür spenden“, erläutert Leon Thomé, Auszubildender zum Hotelkaufmann im dritten Lehrjahr. Er ist einer von zwei Azubisprecher:innen im Betrieb. Um einen möglichst hohen Betrag zu generieren, haben sie verschiedene Sponsoren und viele ihrer Lieferanten – auch CHEFS CULINAR als Unterstützer gewinnen können. Und die Gäste können im Rahmen einer Tombola auch so manches Highlight gewinnen: „Zum Beispiel einen Fußball mit Autogrammen von FC-Bayern-Spielern, die erst vor Kurzem bei uns im Hotel waren“, berichtet Thomé stolz.
Ein erfolgreiches Konzept
Vianne Steenbock, Auszubildende als Hotelfachfrau im dritten Lehrjahr, ebenso Azubisprecherin und heute Leiterin des Tagungsdienstes erklärt, was an dem Tag bei der Gästekommunikation beachtet wird: „Wir weisen die Gäste darauf hin, dass heute alle Aufgaben von Auszubildenden wahrgenommen werden und bitten im Vorfeld um deren Verständnis“. Aus der Beobachterperspektive kann man nur festhalten: vermutlich wäre den Tagungs- und Hotelgästen gar nicht auffallen, dass keine Festangestellten vor Ort sind – so professionell und koordiniert läuft alles ab. Ein Zeichen dafür, dass dieses Konzept der Auszubildendenförderung aufgeht – dank der sehr guten Einarbeitung durch die Ausbildenden und der hohen Motivation und Identifikation der Auszubildenden mit ihrem Betrieb.
Der „Spuk“ ist vorbei
Nach 24 Stunden, um 5 Uhr morgens, ist der “Spuk“ schon wieder vorbei – und alle Festangestellten kehren nach und nach zurück. Somit ist ein weiterer Azubitag erfolgreich von statten gegangen – ein Grund mehr, auch im nächsten Jahr die Azubis guten Gewissens allein im großen Hotel zurückzulassen. Welches Motto dann ansteht? Wir sind gespannt!