Das Projekt des Alten- und Pflegeheims St. Johannes-Stift in Bochum
Rund 20 Prozent der Bewohner und Bewohnerinnen in stationären Pflegeeinrichtungen leiden an Schluckstörungen. So auch im St. Johannes-Stift in Bochum. Hier werden ca. 40 von insgesamt 200 Bewohnerinnen und Bewohnern mit Schluckstörungen versorgt. Bewohner:innen mit Schluckstörungen können normale Speisen nicht schlucken, da der gesamte Prozess des Kauens, Einspeichelns und Schluckens nicht richtig funktioniert. Die Aufgabe der Großküche ist es, die Konsistenz der Speisen an die Schluckfähigkeit der Bewohner:innen anzupassen. Das ist oft gar nicht so einfach, vor allem, wenn das Essen optisch ansprechend aussehen soll. Dass das aber sehr wohl funktioniert, beweist das St. Johannes-Stift jeden Tag aufs Neue.
Erste Schritte in eine neue Richtung
Im normalen Ablauf wird das Essen gekocht und sieht zunächst appetitlich aus. Durch das Zerkleinern mit dem Pürierstab entsteht eine weniger ansprechende breiige Masse. Viele Einrichtungen wollen das vermeiden und bieten daher passierte Kost an. Die Verantwortlichen des St. Johannes-Stifts sind noch weitergegangen und haben die sogenannte adaptierte Kost entwickelt. Adaptation bedeutet Anpassung. In diesem Fall bedeutet adaptierte Kost: optisch optimierte Speisen, die die Beeinträchtigung der Schluckfähigkeit ausgleichen.
Den Anfang machte die Fleischkomponente, da sie häufig die schwierigste Komponente für die Bewohner:innen ist. Die Großküche probierte so lange unterschiedliche küchentechnische Verfahren aus, bis sie eine zufriedenstellende Konsistenz für insgesamt fünf verschiedene Fleischsorten und drei verschiedene Fischarten entwickelt hatte; inklusive guten Geschmacks und dazu passende Saucen und zwar auf Gastronomie-Niveau. Das Besondere im St. Johannes-Stift: Neben den anderen zwei Menüs liest sich die adaptierte Kost auf dem Speisenplan wie eine eigenständige dritte Menülinie. Diese dritte Linie ist den Bewohner:innen mit Schluckstörungen allerdings vorbehalten. Die Bewohner:innen ohne Schluckstörungen bekommen die adaptierte Kost nicht.
Um die Mitarbeitenden in der Küche auf diesem Weg mitzunehmen, nahm Susana Fernandez (stellvertretende Leiterin für Ernährung und Versorgung und Rezeptentwicklerin) an unserem Lehrgang zum Ernährungsbeauftragten in der Seniorenverpflegung teil. Dort erfuhr sie alles Notwendige zum Thema Schluckstörungen. Am Ende dieses Lehrgangs führt jeder Teilnehmende ein Projekt durch. Das Abschlussprojekt von Frau Fernandez hieß „Aufwertung und Optimierung der adaptierten und pürierten Kost“ und widmete sich den Beilagen, wie z. B. Gemüse, Kartoffeln, Nudeln.
So startete das Projekt
Die Großküche des St. Johannes-Stifts verwendet verschiedene Gemüsesorten. Hierfür hat die Küchenbelegschaft entsprechende Rezepte angelegt und ausprobiert. Für jede Komponente haben sie geschaut: Welches ist das passende Bindemittel? Welches sind die passenden Kräuter und Gewürze, um den Geschmack des Gemüses besonders hervorzuheben? Zum Binden und zur Ergänzung der Makronährstoffe verwenden sie häufig Ei und Sahne oder Grieß und Sahne. Besonders wichtig ist es, den Geschmack zu berücksichtigen. Hier legen sie besonderen Wert auf frische Kräuter und eine wohlschmeckende Würzung. Auf künstliche Aromen und sonstige Lebensmittelzusätze verzichten sie vollständig. In Sachen Formgebung entschied sich Frau Fernandez dazu, besonders die Farbe des bunten Gemüses anzusprechen. Hierzu benutzen sie Rollen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen und schmecken richtig gut.
Das gesamte Projekt wurde während des alltäglichen Küchenprozesses erprobt und umgesetzt. Hierfür war Frau Fernandez hauptverantwortlich, erhielt jedoch tatkräftige Unterstützung ihrer Kollegen sowie der Leitung des Hauses. Gedauert hat das Projekt rund ein Jahr.
Eckpunkte des Projektes „Adaptierte und pürierte Kost"
Die Bewohner:innen werden zu ihren Essenswünschen gefragt – und zwar zeitnah "heute für heute". Speziell geschulte Verpflegungsassistentinnen erfassen die Menü-Wünsche der Bewohner:innen ganz unkompliziert mithilfe der Menüwunscherfassung von JOMOsoft. Die Senioren und Seniorinnen haben so die Chance, ihre Wünsche für das Mittagessen morgens in der Früh für den jeweiligen Mittag zu äußern. Wie das funktioniert? Indem einzelne Komponenten ganz einfach ausgetauscht werden können.
Die Großküche verwendet keine Convenience-Produkte. Daher werden alle Produkte in Folie gegart und vorab eingefroren, sodass am Tag selbst alles zur Verfügung steht, was die Großküche braucht. Die Vorproduktion muss demnach vorher geleistet werden. Das Fleisch, das sie für die adaptierte Kost verwenden, wird fertig gewolft eingekauft. Aus hygienischen Gründen ist es praktischer, einen Verarbeitungsschritt weniger zu haben und so das Risiko zu minimieren. Zu allen Komponenten gibt es Rezepturen mit entsprechenden Nährwerten. Im Rahmen des Projektes ist jedes Rezept in den Nährwerten aufgewertet. Der Fokus liegt hierbei auf der Energieversorgung, der Eiweißversorgung und den Ballaststoffen. Für sein einzigartiges und flexibles Konzept hat das St. Johannes-Stift bereits den Frankfurter Preis gewonnen – eine Auszeichnung für besondere Konzepte in der deutschen Gemeinschaftsverpflegung.
Die Senioren haben so die Chance, ihre Wünsche für das Mittagessen morgens in der Früh für den jeweiligen Mittag zu äußern. Wie das funktioniert? Indem einzelne Komponenten ganz einfach ausgetauscht werden können.
Tablett-System
Das Haus hat ein Tablett-System, das heißt: Jeder Bewohner und jede Bewohnerin bekommt ein eigenes Tablett. Da die Teller der Tabletts in der Großküche nach den Bewohnerkarten zubereitet werden, ist das ganz individuell möglich. Haben die Bewohner:innen Schluckstörungen und ihr Essen durch das Tablett bekommen, sind die Mitarbeitenden der Pflege angehalten, den Bewohner:innen erst einmal zu zeigen, wie schön der Teller angerichtet ist. Der Vorteil des Tablett-Systems ist auch, dass der Großküche so auffällt, wenn ein außergewöhnlich hoher Speisenrücklauf zurückkommt. Das heißt, dass man in den Austausch mit der Pflege gehen und nachfragen kann, was den Bewohner:innen nicht geschmeckt hat. Hier findet also eine Rückkopplung mit der Pflege statt, um den Bewohner:innen in Zukunft das Essen anzubieten, das ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht.
Die richtige Konsistenz bestimmen
Ein weiterer Meilenstein dieses Konzepts: Die Konsistenz des Essens soll unterschiedlich sein, je nach Beeinträchtigung der Bewohner:innen. Um das zu beurteilen, wurde ein Logopäde bei der Erstellung der Konsistenzen zu Rate gezogen. Einer der wesentlichen Punkte ist, dass in diesen Komponenten keine Fasern enthalten sind, denn an Fasern verschlucken sich die Bewohner:innen. Zweitens schaut sich der Logopäde an, wie stabil die Verbindung der pürierten Komponenten ist. Es gibt Bewohner:innen, die die Speise erst einmal im Mund sammeln. Die Amylase, das Enzym, das Kohlenhydrate im Mund zerkleinert und verflüssigt, macht also genau das, was mit der Bindung verhindert werden soll. Daher überprüft der Logopäde, ob die Bindung weiterhin stabil ist. Der Richtwert: Drei Minuten muss die Bindung im Mund stabil bleiben, damit sie den Schluckprozess aktiv unterstützt. Das logopädische Fazit: Das Speisenangebot des St. Johannes-Stifts passt perfekt.
Ausblick
Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Als nächstes setzt sich Frau Fernandez kritisch mit der kalten Küche auseinander, das heißt mit Frühstück und Abendessen. Auch hier ist es das Ziel, bewohnergerechte, adaptierte Beilagen anzubieten, beispielsweise pürierte Salate oder Pfannkuchen. Die Großküche befindet sich hier zurzeit noch in der Entwicklung.
Iris Lindemann ist Beraterin mit Herz und Seele. Schon seit 25 Jahren gehört sie zur CHEFS CULINAR Akademie und kennt sich bestens im Gebiet der Ernährung für Senioren und der Organisation in Pflegeheimen aus. Darüber hinaus gibt sie ihr Wissen in den Bereichen Kita- und Schulverpflegung, Allergien, Intoleranzen und Allergenmanagement weiter.