Leicht verderbliche Lebensmittel
Sind Verbote wirklich sinnvoll?
Die Lebensmittelkontrolle beschäftigt sich seit einiger Zeit immer intensiver mit leicht verderblichen Lebensmitteln. Manche sprechen sogar von "Risiko-Lebensmitteln", so, als ob Ernährung gefährlich wäre. Die Thematik hat tatsächlich Substanz: Spätestens dann, wenn die Lebensmittelkontrolle von Verboten spricht.
Bundesweiter Überwachungsplan 2017
Viele wissen nicht, dass die Lebensmittelkontrolle jedes Jahr bundesweit ein Schwerpunktthema hat, mit dem sie in die Betriebe geht. Im Jahr 2017 ging es um die "Überprüfung der Verpflegung in Gemeinschaftsverpflegungen auf die Verwendung von Risiko-Lebensmitteln" und lief unter dem sperrigen Titel "Checkliste zum Programm BUEP2017-4.2". In dem Zuge wurden vereinzelt Betriebe aufgefordert, bestimmte Produkte wie etwa streichfähige Rohwürste – z. B. Mett- oder Teewurst und Räucherlachs – nicht mehr anzubieten.
Gerade rohe Mettwürstchen sind immer wieder mit Bakterien und Viren belastet, z. B. Hepatitis E, Campylobacter, Salmonellen, EHEC, Yersinien, Listerien und antibiotika-resistente Keime. Letztere fanden sich z. B. 2014 in 22 % der untersuchten Mettprodukte. Und auch Erkrankungen mit Hepatitis E sind in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen.
Darf die Lebensmittelkontrolle Nahrungsmittel verbieten?
Nein. Es muss klar zwischen rechtlicher Vorgabe und Empfehlung unterschieden werden. Als Empfehlung kann der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel durchaus Sinn machen, allerdings nicht flächendeckend.
Die deutsche Lebensmittelhygiene-Verordnung definiert leicht verderbliche Lebensmittel so:
"Ein Lebensmittel, das in mikrobiologischer Hinsicht in kurzer Zeit leicht verderblich ist und dessen Verkehrsfähigkeit nur bei Einhaltung bestimmter Temperaturen oder sonstiger Bedingungen erhalten werden kann."
Beispiele dafür finden sich in Publikationen vom Bundesinstitut für Risikobewertung BfR, der DIN 10506 "Gemeinschaftsverpflegung" und verschiedenen Hygieneleitlinien. Dort gibt's jeweils eine Auflistung der in Frage kommenden Risiko-Lebensmittel. Alle 3 sehen diese Voraussetzungen z. B. bei Speisen und Getränken aus Rohmilch, in rohen Fleischprodukten, streichfähigen Rohwürsten, rohem sowie geräuchertem und gebeiztem Fisch und Schalentieren erfüllt.
Die YOPI-Gruppe
Eine besondere Bedeutung bekommt das Thema, wenn Menschen mit einem schwachen Immunsystem betroffen sind. In Fachkreisen spricht man in dem Zusammenhang vom Begriff YOPI:
Y = Young – kleine Kinder, vor allem im Alter zwischen 1 und 3 Jahren
O = Old – Alte Menschen mit geschwächtem Allgemeinzustand
P = Pregnant – schwangere Frauen
I = Immunosuppressed – Menschen mit geschwächtem Immunsystem aufgrund von Krankheiten, z. B. Dialysepatienten, AIDS, Krebskranke, oder Medikamenten, z. B. häufige Antibiotikagabe. Wer genau betroffen ist, wird in Regelwerken wie der DIN 10536 Cook & Chill oder der Leitlinie für Zentralküchen genauer beschrieben.
Risiko-Personen der YOPI-Gruppe, die bestimmte Risiko-Lebensmittel verzehren, haben ein erhöhtes gesundheitliches Risiko. Darum sind Überwachungsbehörden vermehrt sensibilisiert, zumal mehrere Publikationen Verbote nahelegen, z. B. "Sicher gepflegt" vom Bundesinstitut für Risikobewertung BfR, DIN 10506 "Gemeinschaftsverpflegung oder die Leitlinie für gute Hygienepraxis in sozialen Einrichtungen.
Maßnahmen für die Praxis
Neben einem Verzicht gibt es aber auch andere Möglichkeiten, die Lebensmittel-Sicherheit zu verbessern:
- Anbieten von Alternativen: Während die Personen mit gesundem Immunsystem kalt geräucherten Lachs bekommen, erhalten geschwächte Personen heiß geräuchertes Forellenfilet.
- Bezug aus qualifizierten Quellen: Nicht jeder Hersteller ist in der Lage, seine Ware umfassend mikrobiologisch zu untersuchen. Und wenn Qualitätskontrollen stattfinden, dann gibt es Unterschiede: Beispielsweise untersucht ein Hersteller von Mettwürsten nur auf 2 Bakterien, während ein anderer auf 5 Bakterien testet. Hersteller, die intensivere Qualitätskontrollen durchführen und dies nachweisen können, bieten den Kunden eine höhere Sicherheit. Dies kann durchaus einen höheren Verkaufspreis rechtfertigen.
- Besondere Behandlungsmaßnahmen: Durch gezielte Schritte wird die potentielle Gefahr minimiert. So können z. B. Salate beim Waschen mit Additiven – Zusätze wie Ascorbinsäure, Zitronensäure, Chlordioxid oder Ozon – behandelt, TK-Beeren durcherhitzt, Sprossen blanchiert oder die Zutaten für die Herstellung von Feinkostsalaten gekühlt werden. Diese Maßnahmen werden jedoch nur funktionieren, wenn die Mitarbeiter/innen sensibilisiert werden und im Umgang mit solchen Lebensmitteln geschult sind.
Selbstverständlich ist es unentbehrlich, dass allgemeine Hygienemaßnahmen wie z. B. die Hände- oder Arbeitsplatzhygiene eingehalten werden.
Sichern Sie sich rechtlich ab!
So genannte Risikolebensmittel sind nicht verboten und es steht jedem Betrieb frei, sein Angebot zu gestalten. Sollten jedoch Menschen erkranken, haben jene Betriebe ein Problem, die gar nicht auf die existierenden Empfehlungen reagiert haben. Die Betriebe aber, die Alternativen anbieten, die ihre Ware von qualifizierten Herstellern beziehen, die besondere Behandlungsmethoden durchführen oder maßvoll Verzicht praktizieren, können nachweisen, dass sie nicht untätig waren, sondern etwas unternommen haben, um die Lebensmittelsicherheit zu steuern. Sie können dabei einen Kompromiss eingehen zwischen Untätigkeit und Verboten und halten damit die Esskultur, wie wir sie kennen und schätzen, aufrecht.
Seit 1997 gibt Stefan Vornehm zu den Themen EU-Zulassungen, HACCP, Hygiene- und Qualitätsmanagement sein Wissen in der CHEFS CULINAR Akademie weiter. Seine Palette reicht von Inhouse-Schulungen zur Lebensmittelhygiene-Verordnung und Belehrungen nach Infektionsschutzgesetz über Seminare und Fachvorträge bis hin zur Ausbildung von HACCP- und Hygienebeauftragten.